Elmar Zimmermann über seine Bilder

   

Meine Malerei ist letztlich Naturbeobachtung. Ich versuche, die innere Wirklichkeit aufzunehmen. Ein Bild ist wie die Übersetzung, der Versuch, mit Farben und Formen eine Mitteilung zu machen.

Bei dem Versuch, den inneren Gehalt eines Objekts zu übermitteln, erleide ich oft Schiffbruch…

Das Problem für den Künstler ist es, Wandel und Konventionen in Einklang zu bringen.

Malen wird letztlich ein Nebenprodukt der eigenen Lebenserfahrung; Malen ist Reflexion über das eigene Dasein, eine Tür zur persönlichen Befreiung, Funke eines im Innern lodernden Feuers, Öffnen eines vergitterten Fensters.

Dementsprechend sollen meine Bilder Aussage, Hinweis, Nachricht, Meinung sein…

‚Ich bin der, der ich bin’

Ich male altbekannte Motive auf meine Weise und hoffe, durch meine Art neue Entdeckungen zu offenbaren.

In einer Zeit, in der die Situation verzweifelt ist, benutze ich die Figur als Vorwand, um zu verdeutlichen, in welch unglücklicher Lage wir uns befinden.

Andererseits will ich ausdrücken, welch einmalige Chancen unsere Welt jedem bietet.

Quelle meiner Arbeit ist das widersprüchliche Erleben des Alltags. Aus ihm quillt schöpferische Tätigkeit.

Malen ist Auseinandersetzung, Ordnen von Dingen, über die man sich während des Tuns klar wird.

Es ist mir unmöglich, etwas anderes zu malen als das, was ich liebe, wozu es mich drängt.

So steht man notgedrungen in Opposition zu dem, was derzeit besteht.l

Ich bin mir meiner Abgeschiedenheit, meines Alleinseins, meines Abseits bewusst, bin aber auch sicher, dass es sich letztlich lohnen wird.

Malen ist der Versuch, mit dem Leben fertig zu werden.

Dabei gibt es so viele Lösungen, wie es Menschen gibt.

Je näher man sich dabei am Ziel glaubt, desto weiter es von uns entfernt.

29. Juni 1978

Die Herkulesstaude vom Atelier durchs Fenster, weil das Wetter unerträglich ist. Der Abstand (20 Meter) und das neutrale Licht (ohne Sonne) zwingen zum Gestalten. Das fertige Bild scheint mir gelungen.

20. Juli 1978

Malen ist mir nicht Profession, ich bin ja Lehrer – eher Passion.

Malen ist mir nicht unterhaltsame Beschäftigung in Mußestunden, vielmehr ist mir diese Tätigkeit notwendige Existenzaussage.

Ich liebe mein Lehrerdasein, ich hasse meine armselige Tätigkeit im stupiden Büro, die lächerlichen Pflichten als Schulleiter nehme ich als Brötchenberuf zähneknirschend in Kauf – nach dem Malen aber verzehre ich mich.

Mit dem Pinsel in der Hand packt mich eine schlimme Hektik; ich werde zum notorischen Vielmaler und bleibe doch ein unverbesserlicher Dilettant.

Immer, wenn mich das Malfieber packt, wäre ich am liebsten allein.

Gisela ist die einzige, die das weiß. Ich wirke dann auf die Umwelt nervös und gereizt, launisch und sprunghaft. Ich kann dann zum böswilligen Krakeeler werden, eigensinnig und verbohrt kann ich Streit suchen. Alle Äste säge ich unter mir ab. Freunde fühlen sich brüskiert, ich lande dann meist dort, wo es am unbequemsten ist, zwischen den Stühlen.

Meine Bilder entstehen spontan.

Wenn mich die Lust packt, kann ich auch beim größten Format so lange Farben mischen, bis das Werk ausgekotzt ist: 5, 6 oder gar 8 Stunden. Geduld ist nicht meine Stärke, vom Korrigieren will ich nicht viel wissen, zumal meine spontan hingehauenen Arbeiten meine Freunde am meisten beeindrucken.

Beim Bildaufbau nutze ich die überlieferten Formen und versuche, meine Inhalte zu formulieren. Dabei versuche ich fortwährend, sichtbar zu machen, stoße bis an die Grenzen des Gegenständlichen hervor, ohne den Grat ins Land der abstrakten Kinkerlitzchen zu überschreiten.

Meine Mutter war von meinen frühen Arbeiten begeistert, als ich mich noch um das Abbild mühte. Von 20 Bildern war höchstens eines ein Zufallstreffer. In jahrelangen Entblößungen gelang es mir zügernd, einen Weg zu beschreiten, der mich anfangs torkeln, später bewusst auf ein Ziel hin mich bewegen ließ.

Je näher ich mich diesem Ziel glaube, desto mehr rückt dieses in die Ferne.

Es geht mir wie dem Bergsteiger, der jeden Augenblick vermeint, die Aussicht vom Gipfel aus ins gelobte Land zu erhaschen.

Nach 30jährigem Bemühen bin ich sicher, dass ich die Spitze nie erreiche. Zu gewaltig wuchten sich die Hindernisse.

Die Farbe macht jeden kaputt, der sich um sie müht, das Zeichnen bereitet mir keinen Kummer.

Nein, man sollte sich mit der Farbe niemals einlassen… Jede Provokation erzeugt Prügel, schon ein falscher Fleck gebärt Ungeheuer.

Jakobs Kampf mit dem Engel! Das ist längst mein Problem.

Gewiss, meine Lende ist auch lahm – aber das Ringen hört nie auf; es ist Hassliebe, gezeugt von ekstatischem Begehren, mein Inneres in Bilder zu bannen.

Ergreife ich den Pinsel, ist es ein grausames Unterfangen, den toten Punkt zu überwinden. Ich verzage bis in den Herzensgrund, beneide jeden Steinbrucharbeiter um seine Unbekümmertheit, mit der er in die Hände spuckt.

Ist die Arbeit aber fortgeschritten, sehe ich den berühmten Silberstreifen am Horizont, habe ich das Bild gar beendet, erfasst mich ein unbeschreibliches Glücksgefühl.

Ich kann dann viel Zeit damit verbringen, auf das Ergebnis zu starren, den Malakt mit allen Details nochmals nachzuvollziehen, mich über die eigene Courage zu wundern – brüte lange über eine verpatzte Stelle.

Das kann ich am besten am Buck, fernab der Banalitäten der Alltagsroutine. Wer einmal diese Erde gekaut hat, wird immer ihren herben Geschmack zwischen den Zähnen behalten. Hier lässt sich mit Leichtigkeit die Pflugschar zwischen den dampfenden, schweren Erdschollen ansetzen – man kann konstant tiefe Furchen ziehen, wenn man auch unversehens auf eckige, schwerfällige Steine stößt, die den Lauf hemmen.

Vielleicht ist es meine bäuerliche Halstarrigkeit, die mich dann nicht nachgeben lässt, bis das Ziel – wenigstens in Ansätzen – erreicht ist. Und – das ist doch klar -: Erst unter den dicken Schmutzschichten sprudelt die klare Quelle.

Man wirft mir immer wieder vor, ich sei zügellos in den Farben, unbeherrscht im Bildaufbau. Meine Bilder sind meine Seele. Wie kann ich es wagen, meine Seele zu verleugnen, das eigene Temperament zu korrumpieren?

Jener Heißhunger, mich selbst darzustellen, packt mich mit jedem Pinselstrich.

Wie sollte ich, da ich es mit meiner Malerei aufrichtig meine, von meiner Manier abgehen, die doch gar nichts anderes ist, als die Projektion meines Temperaments. In meinen Bildern treten die Motive in jene eigentümliche Form-Gehalt-Beziehung, die mir im Innern eigentümlich ist, die Farben nehmen jene Mischung an, die mein Wesen unbewusst der Palette entringt.

Ist es… verboten, sich offen, in ehrlicher Absicht zu zeigen…?

Ich bin, der ich bin! Ich habe mich 30 Jahre lang durch das Gestrüpp von Hilflosigkeit, durch den Dschungel von Rückschlägen und Verzweiflung hindurchgewälzt.

Jetzt sehe ich in der Ferne irgendwo Licht und nehme mir das Recht, es auf meine Weise zu erreichen zu suchen.

Wer meine Bilder nicht mag, der meide sie. Wer sie schlecht findet, soll ruhig sagen: ‚Ich finde sie miserabel!’ Nicht aber: ‚Sie sind abscheulich!’

…Unablässig mühe ich mich, den Stein den Steilhang hoch zu wuchten. Unaufhörlich droht er mich zu erdrücken.

Gerade sei Wissen davon, dass der Stein gnadenlos zurückrollen wird, macht Sisyphos zum Helden; er gibt nämlich nicht auf.

Indem man sich täglich seiner elenden Situation bewusst wird, indem man nicht resigniert, überwindet man die Qual der Frustration, weitert man seinen Blick zum Gipfel.

Im Geiste sehe ich es deutlich vor mir: Sisyphos wird glücklich sterben; er hat den Felsblock so hoch wie möglich gewälzt.

7. August 1978, am Mettmasee

Ich stamme von kleinen Leuten ab. Sie waren stolz darauf, ein kleines Königreich zu besitzen: Es umfasste sechs Hektar mit Hühnern, Ziegen und 10 Stückchen Vieh. Es gab ein geräumiges Haus, davor ein Nussbaum. In dessen Blätterwald unternahm ich erste Ausflüge in die Literatur.

Meine Ahnen pflügten die Scholle, drängten die stacheligen Disteln aus den Äckern.

Eine entfernte Verwandte – Kartenschlägerin ihres Zeichens – behauptete mit verständigem Blick, in unseren Adern ströme Raubritterblut.

Meine Jugend wurde von bösen Schocks durchschüttelt. Nazilehrer brachten uns von der Pike auf bei, dass der Herrenmenschen Zukunft im Osten liege, im Land der deutschen Ordensritter. Den Blauäugigen mit blonden Haaren gehöre die Zukunft.

In Zeiten, in denen Jugendliche mit Murmeln spielen und in verstecktem Waldgestrüpp Indianerhütten bauen, wuchs ich auf unter dem Geknatter der Maschinengewehre. Trug ich die Uniform des Jungvolks.

Als die feindlichen Tiefflieger am helllichten Tag unsere Dörfer beschossen, wurde ich an Panzerschreck und Panzerfaust ausgebildet. Wacklige Greise und einarmige Invalide gaben uns Ratschläge.

Der Stahlhelm rutschte mir über die Augen. Mein Körper versoff in der Uniform. Gegen unseren Kleinmut verkündeten sie: Bald werdet ihr Goldfasane sein, Gauleiter im Protektorat Böhmen-Mähren.

Die Zeit der Bewährung kam. Unsere geliebten Führer entzogen sich mit Zyankali feige ihrer Verantwortung.

Ich aber weinte, als fremde Soldaten die Heimat besetzten. Im Untergrund wollten wir uns weiter verteidigen. Die Vernunft der Eltern verhinderte weiteres Unheil.

Mein Vater war ein einfacher Parteigenosse. Weder Zellenleiter noch Luftschutzwart. Als Mitläufer hatte er ‚Heil Hitler’ gerufen und innerlich gelacht. Jetzt wurde er entnazifiziert, stand still beim Strafexerzieren und steckte Prügel ein.

Die gipsernen Hitlerbüsten hatte man über Nacht zerschmettert. Die jungen Mädchen fraternisierten sich mit den flotten Besatzern in weißen Gamaschen und nervösem Stechschritt. Es fehlte an zeugungsfähigen Männern. Die saßen mürbe in den Gefangenenlagern.

Ich biss die Zähne aufeinander, verbrachte Tage in den Wäldern und versuchte, die Menschenwürde zu bewahren- das Gegenteil von Demütigung…

Aus dem Radio tönte der … Spruch von der Kollektivschuld aller Deutschen. Die Jugend verdorben, von Naziideen verseucht.

Ich war gerade 15 geworden. Die Schulen waren geschlossen für solches Gelichter.

Ich heilte mein zerrissenes Wesen auf der Weide bei den Kühen, verschlang Gogol, Puschkin und Dostojewsky. Der Herbst war rau, die Schuhe verschlissen. Die warmen Kuhfladen wärmten meine Zehen – auch wenn ich danach fürchterlich stank.

Später öffneten sich wieder die Bildungsfabriken. Täglich reiste ich früh am Morgen – eingepfercht zwischen Eigenbau paffenden Arbeitern und trübe blickenden Lehrlingen – 24 Kilometer in die Kreishauptstadt, um die Weisheit der Väter vor den Nazis geduldig in mich einzuschlürfen.

Am Nachmittag dann täglich der Rückweg vier Kilometer Fußweg über den Berg. Der dichte Wald rauschte und machte mir Mut, wenn ich über Logarithmen und französischen Vokabeln verzweifeln wollte.

Ich wand mich durch die tückische Mühle der Oberschule – ängstlich darauf bedacht, mit guten Zeugnissen zu brillieren – die Erwartungen einer von Ehrgeiz zerfressenen Mutter zu erfüllen.

Zwischen Fabrikantensöhnchen und Arzttöchterchen lebte der Bauernjunge im Ghetto. Das heimatliche Dorf brandmarkte mich als Spinner. Im Schülerorchester strich ich die zweite Geige – genoss als Bratscher das Image der Unentbehrlichkeit.

Das von den Franzosen oktroyierte Zentralabitur bestand ich – Blut schwitzend beim Gedanken, wie andere durch das Sieb der Mittelmäßigkeit zu rasseln.

Was werden, war nun die bittere Frage? Erschien mir doch kein Beruf auf dieser Erde zu meinen Absichten passend. Zwischen Zweifeln und eitler Zuversicht landete ich schließlich an der Pädagogischen Akademie.

Schlafsaal mit 25 Individualisten. Zwischen ehemaligen Leutnants und abgetakelten Nazis hatte ich zwei Jahre diese ‚Heimstätte’.

‚Privat’ war lediglich die über dem Skelett des Feldbettes abblätternde Wand – an die ich Cezanne-Reproduktionen heftete…

Mein Wesen schwelgte bei Händels Triosonaten, beim Quartettspielen und Musizieren in Orchestern.

Im Lesezimmer saß ich – meist allein – vor dem Rias-Sender bis lange nach Mitternacht.

Mit dem Farbkasten streifte ich über den Tüllinger Berg, erlebte grausame Niederlagen mit der Farbe, wanderte über Riehen ins Basler Kunstmuseum…

Ehe ich es recht begriff, begann mein Schulmeisterdasein. 27 Jahre davon habe ich hinter mich gebracht.

‚Erziehung’, von den Schülern als Terror bezeichnet. Für mich immer noch ‚Liebe und Vorbild’…Entfaltung der Wertgestaltungsfähigkeit in den Schülern, kein Tag als bare Routine, nie Rezepte für die Gestaltung des Unterrichts, in jeder Stunde die Quelle der Entdeckungen sprudeln lassen, ein neuer Anfang wird täglich geboren – dem der Zauber der grenzenlosen Vielfalt innewohnt.

Heute bin ich den Kinderschuhen entwachsen. Und doch wird mir in niederschmetternder Deutlichkeit bewusst: Allein die Geborgenheit in der Familie macht selig.

Vom Edelstein meiner Burg aus sind die Augen gerichtet auf den hektischen Zeitstrom.

Die größte, nicht mehr teilbare Einheit der Menschenrasse ist und bleibt der Einsame. Er stellt in seinem bewusst gezimmerten Wesen etwas Ähnliches dar wie eine Primzahl.

Jerg Ratgeb, den schwäbischen Altarmaler und Bauernführer, den unerschrockenen Kämpfer für Freiheit und Recht – den Bundesgenossen meiner inneren Einstellung hat man 1525 grausam gevierteilt… Seine Sehnsüchte und Wunschträume leben fort…

…heute habe ich meinen Bundesgenossen ins untere Feld der Schlafzimmertüre meiner Burg gemalt; jetzt können wir Kontakt zueinander aufnehmen, wann immer ich in der Burg weile.

Was verbindet uns? Auch er schlug sich auf die Seite der Unterlegenen, musste bitter büßen. Er wandte sich gegen jene, die statt Wahrheiten Ideologien verzapften…

Mitte August 1978, am Mettmasee

Allein in der Burg. Zwei wolkenlose Tage: Sonne, Arbeit, Freude. 2 Musikanten gemalt. Urberg steht wieder auf.

20. August 1978

Ich male zwei Fassungen über „Jakob kämpft mit dem Engel“ Der Titel ist nur vordergründig, könnte besser heißen: Der Mensch in der Auseinandersetzung mit seinen Problemen – der schöpferische Akt – oder so.

Der Entwurf (kleines Format) gelang spielerisch, die eigentliche Fassung hat dämonische Dimensionen.

Beide Kämpfer sind Monstren.

Dies ist… beabsichtigt.

Die Geburt vollzog sich unter einigen Niederlagen.

Zunehmend wurde (wie bei jedem guten Bild) der Gegenstand gleichgültig in dem Maße, wie die Form gewann (oder umgekehrt)

27. August 1978

Unser Flötenvirtuose Böhm verlustiert sich eine Woche im Hüsli mit seinem Arsenal an Instrumenten: Krummhorn, Pommer, Panflöte und Schalmei.

Es ist faszinierend, wie virtuos er jede Art beherrscht. Ich habe ihn beim ‚Darstellen’ der Instrumente beobachtet.

Die Art, wie er beim Musizieren sich ganz einsetzt, erscheint mir bilderträchtig.“

5. September 1978

Allein in der Burg. Das Malen überfällt mich. Innerhalb von 4 Tagen 5 Bilder gemalt. Gemalt?

Gleichzeitig mit Lust durchlitten. Waldemar Bohner (und Gisela) sind die einzigen, die wissen, wohin ich will. ‚Und ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst!’

Nein, Maler will ich mich nicht nennen…

20. April 1979

Über einen Satz von Segantini gestolpert: „Kunst ist Liebe, in Schönheit gehüllt.“

Daraus lässt sich folgern: Jedes Motiv lässt sich künstlerisch gestalten, man muss lediglich den rechten Bezug dazu haben.

Eine Blume mag besser lehren als tausend Worte.

Kunst ist der Versuch, ein Abglanz menschlicher Werte darzustellen.

Kunst ist eine Art Exhibitionismus, mit der der menschliche Geist konkretisiert, verdichtet.

Kunst ist die Fähigkeit, als Armer andere reich zu machen, als Verlassener, Geschundener Wohltaten zu spenden, also, in jeder Situation Hoffung auszustrahlen, darzustellen, wie schön die Welt ist.

Kunst verhilft zur Fähigkeit, die Mühseligkeiten des Daseins als Glück zu empfinden.

Kunst ist der Schlüssel, fähig zu sein, zu den Menschen reden zu können, die Liebe in jeder Kreatur zu wecken, die die Erde bevölkert.

Kunst muss den Wechsel der Mode überdauern – ist in ihr etwas ‚drin’.

Jedes Kunstwerk hat die Kraft, sichtbar zu machen, beispielsweise Schönheit, eine Idee, ein Postulat. Dabei mag das Temperament wie ein Filter wirken.

Kunst kann Empfindungen materialisieren, Gedanken konkretisieren…

16. September 1979

Freuden des Alltags

Botschaften abtasten,

Flaschenpost Verzagten mitteilen,

Das Unrecht mit Härte bekriegen,

Wahrheiten verteidigen,

Lügen aufdecken,

Leserbriefe schreiben,

Ins Fettnäpfchen treten,

Die Gewalt provozieren,

Eingeschüchterten, Unterdrückten Mut machen,

Für Kleingeister ein Ärgernis sein,

Feuer anzünden,

Außenseiter, Zukurzgekommene als Freunde wissen,

Im Wald herumstreichen,

Allein sein!

2. Oktober 1979

Waldemar ruft aus Tauberbischofsheim an… Das Konzert mit vier meiner Bilder ist vorüber. Er schwärmt von dem Erfolg.

‚Stress’ zur Einleitung.

‚Hiob’ sei 30 Minuten gestanden. Seine Schola habe alle 20 Strophen von ‚dies irae’ dazu gesungen, außerdem habe er eine Komposition von Walter Kraft dazu gespielt, die dieser zum Tode Kennedys verfasst habe.

Das Bild habe einige mächtig erschüttert.

„Die Sängerin“ , die Schola dazu ‚Resurrexis’ Die Singende sei lebendiger und lebendiger geworden.

‚Loretoweg’ , dazu ‚Christ ist erstanden’. ‚Das war stark’, habe eine Jugendliche gesagt…

Waldemar meinte, dass sich das Experiment ‚Bildmeditation’ gelohnt habe. Sein Fazit:

1. Meine Bilder hätten eine enorme Wirkung auf Menschen.

2. Bilder-Musik sei möglich

3. Ein einzelnes Bild wachse beim langen Stehenlassen. Die Musik erschließe den Gehalt.

23. März 1980

Direktor Gröner kauf mein großes, inniggeliebtes Bild ‚Erde und Himmel’ (erst vor kurzem in Erdfarben gemalt) – für die neue Turnhalle.

Abends hänge ich mit Gisela das große Format in die Halle.

18. April 1980

50 Jahre alt mit einem wunderbaren Familienfest. Die Öffentlichkeit mit ihren ‚Pflichtangelegenheiten’ wurde mit Erfolg ausgeklammert. Niemand musste lügen, Schaum schlagen, Begeisterung heucheln. Das tut gut.

Wir waren in Basel, Gisela und ich: herrliche Stunden voller Erlebnisse. Hotel Jura mit echten Braques, Picassos, Rouaults usw. Eine Sensation, über die niemand Aufhebens macht.

Am Nachmittag des 2. 5. zeichnend im ‚Antikenmuseum’

5. Mai 1980

Abends mit Raffael in den Wäldern der Schwarza untergetaucht, nachdem ich auf den Höhen des Berghauses Ährenfelder malte…

17. August 1980

Ich haben in diesen Ferien Niehüsers 40 Bände „Die Kunst“ von 1900 bis 1932 im zweiten Durchgang erackert. Was das so für Abfallprodukte gibt?

5. September 1980

Allein in der Burg. Eine unsägliche Lust zum Malen. Ich räume den Garten ab. Der Frost hat tödlich gewirkt. Ein paar Sonnenblumen leben noch, etliche Kürbisse. Stillleben bei Franc Martins ‚Rilke: Tod des Kornetts…’

Auf dem Balkon ist es eisigkalt.

Die Kürbisse modulieren sich neben sterbenden Sonnenblumen. Ich male 5 Stunden.

25. Oktober 1980

‚Schafe unterm Baum’ vollendet. Ein Erlebnis vom Herbst 80 wird in ein Bild verwandelt.

2. Februar 1981

…aber noch immer sind das Leben Jesu und seine Predigten für mich erstrebenswertes Ziel.

Gut, ich rechne mich zu den ‚Aussteigern’ – aber ist das weit nach der „Hälfte des Lebens“ nicht möglich?

9. Juli 1981

Am Samstag fahren wir nach Basel ins Barfüßermuseum. Erstes Abtasten des Untergeschosses, 4 Zeichnungen…

25. Oktober 1981

Richard Gindele kommt unverhofft als schwäbischer Freund und Bilderfan.

Zu seinem 61. Geburtstag schnappt er sich eines meiner besten Bilder, erst vor ein paar Wochen entstanden.

Für ein zweites Bild legt er 400 Mark an.

26. Mai 1982

Ferien vom Ich.

Mit Gisela in der Burg. Am Vormittag bin ich nach Seebrugg gefahren und habe Frau Matt-Willmatt abgeholt.

Am Nachmittag haben wir auf dem herrlichen Felsen gegenüber Aichen, wo ich verschiedentlich mit Frau Niehüser malenderweise saß, Kaffee getrunken…

Faszinierend die Brücke unter uns, ohne die der Weg nach Nöggenschwiel Illusion wäre.

6. Juli 1982

Ich male mit Frau Niehüser oben in Buggenried. Danach genehmigen wir uns ein Bier im Rössle, Berau.

10. September 1982

Mit Raffael auf der Burg. Ich male gerade auf der Veranda, da kommt Gisela mit Dankwart Hoetzel…

24. Juli 1982

Die Ferien sind vorbei, es waren die schönsten seit Gedenken.

Ich hatte eine reiche Ernte: 18 Bilder.

Glücklich war ich, wenn ich mit Frau Niehüser auf Beraus Fluren malte, wenn ich mit Raffael diskutierte, wanderte, wenn der Geruch der Erde sich in Farben verwandelte.

14. August 1982

Heute ging Raffael schon wieder fort. Erste Ferienzäsur: 8 Bilder sind gemalt…

… um Blumen malen zu können suchten wir vor vier, fünf Tagen einen Riesenbündel mit Johanniskraut, Konzkräuter, Mauerlattich, wilde Möhre, Esparsette, Fruchtstände von Bärenklau, lila Weidenröschen…

Tags darauf blühten am Bach nahe dem Dorf Riedern in verschwenderischer Pracht Blutweiderich, umgaukelt von Dutzenden Schmetterlingen. Rasch einige Stauden abgebrochen: ein wundervoller lila-Kontrast zum gelb-ocker farbenen Johanniskraut…

Frisch vom Bach ist der Farbklang zu den diversen Gelbs überwältigend. Rasch sind Farben und eine Palette zur Hand, nach zwei Stunden ein betörendes Bild…

Eine zweite Platte wird nun mit Farbe gefüllt. Hände, Finger, Pinsel fliegen; schon nach eineinhalb Stunden ist das fertige Bild auf die Staffelei geschmissen.

31. Juli 1983

Ein turbulenter Tag.

Eigentlich wollte ich nur malen. Blumen warten, die schon 8 Tage im roten Eimer stehen: Kamille, Blutweiderich, Johanniskraut.

Aber dann bekomme ich Lust nach Zurzach zu fahren…

Am Mittag fuhr ich in der Burg, gepackt von einer umgehenden Lust, den zerfledderten Blumenstrauß doch noch zu malen. Es wird ein Ölbild.

Unter der brennenden Sonne entsteht ein Bild, in das ich mich hinterher selbst verliebe…

14. August 1983

Das Wohnhaus, ein mächtiges Gebäude, ein grundgesundes Schwarzwaldhaus mit geradezu gigantischen Dimensionen.

Die Räume umfassen den Zwergen Mensch mit Ausmaßen, dass man nur staunen kann.

Wir kletterten durch alle vier Höhenstufen.

Nur ein Bruchteil des Wohnens ist genutzt; das Haus schläft wie im Dornröschen…

Aus den Balken, Verspannungen atmet die Mentalität des Schwarzwälders, erstaunlich, dass die paar Balken das Wunder des Daches zu tragen imstande sind.

Überhaupt das Dach – ein schützender Teppich vor dem Elend dieser Welt, eine wärmende Decke gegen die Kälte der Außenwelt. Über 8000 Ziegel hat man über die Schindeln gelegt, ein gewaltiges Gewicht, dem der Bau nicht gewachsen war; er ging buchstäblich in die Knie.

Mit Flaschenzügen hat man den strauchelnden Riesen wieder aufgerichtet.

Welch ein glücklicher Zufall, dass ich gerade diesen Sommer das Haus malte.

24. August 1983

„Und jetzt malen Sie im Hüttchen Bilder?“

Ich: „Nein, ich habe mein Soll für dieses Jahr hinter mir!“

„Haben Sie keine Einfälle?“

„Ich habe immer Einfälle; ich könnte Tag und Nacht malen. Aber man muß Spaß haben, und derzeit arbeite ich lieber im Garten, im freien Gelände, dazu lesen, Radio hören, sinnieren!...“

26. Oktober 1983 im Gespräch mit Herrn

Niehüser

Fahrt mit Gisela nach Schaffhausen. Wir parken hinter dem Hafen. Auf der Fahrstraße liegt direkt am Rinnstein eine Möwe. Offensichtlich ist sie gegen ein Fahrzeug geprallt, war vermutlich sofort tot.

Arme kleine Möwe!

In abwehrender Anmut ist sie erstarrt, das Gefieder wie zur Abwehr erhoben. Sie liegt in verzücktem Rhythmus da, gerade so, als ob sie schlafen wollte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite wischt ein Stadtarbeiter mit seinen …Besen vergeblich das Laub zusammen. Gewiss hat er den toten Vogel gesehen, er wird ihn bergen.

Ich wage nicht, ihn mitzunehmen, das könnte Ärger geben.

Als ich nach drei Stunden aus der Bücherei zurückkomme, liegt die Möwe immer noch da, am gleichen Platz, wie schlafend.

Der Besenheld ist gegangen.

Zwei Autos weichen einander aus. Ums Haar hätte eines die wunderschöne, schlafende Möwe überfahren.

Schon wieder ein Fußgänger. Ich warte, bis er vorbei ist. Dann hebe ich das tote Tier auf.

Der Körper ist von der Kälte erstarrt, aber er fühlt sich weich, warm an.

Ich lege den Vogel behutsam auf meine Tasche und trage ihn zum Auto.

Eine Frau schaut entsetzt aus dem Fenster zu.

Auf dem Autoteppich sieht der Vogel aus, als wollte er sich ankuscheln. Wirklich, als ob er schlafen würde.

Ohne Schwierigkeiten komme ich über den Zoll.

14. November 1983

Heute, am Vorabend des Buß- und Bettages habe ich die Möwe gemalt, gleich zweimal.

Morgen werde ich sie begraben. Ich bin so froh, dass ich sie von der Straße genommen habe.

Armer, schöner, großer Vogel.

15. November 1983

Mit Raffael in Basel, Naturkunde-Museum.

In der Abteilung für Paläontologie habe ich das Portrait für den Landrat gefunden: ein stiernackiger, heimtückischer, bösartiger Kopf, vielleicht von einem Nashorn stammend, mit schweinemäßigen, hinterlistigen Triefaugen…

Irgendwann werde ich diesen bocksbeinigen, arroganten Blödian malen, in seiner ganzen lächerlichen Dummheit, diesen Papiertiger einer anachronistischen Zelluloidzivilisation…

25. November 1983

Gestern habe ich ein Fastnachtsbild beendet. In 4 ½ Stunden habe ich eine Fläche von 5 x 2 Metern zugedeckt. Ich habe versucht, die Mentalität der ‚Alemannischen Fasnet’ in ein Bild zu malen: Hexen, Hemdglunker, Hansele, Saublotere-Schläger. Über allem webt Schwermut und Weltschmerz.

Weniger Humor als Traurigkeit.

Keine Büttenreden.

Kein Karneval.

… ziemlich viel Zimmermann.

Am heutigen Tag trage ich mit Schülern das Bild nach unten. Herr Huber wird es neben seiner Kabine als Beitrag zur Fastnacht 1984 montieren…

17. Februar 1984

Osterferien. Ein Sehnen hinüber in die Burg geht in Erfüllung… So ein paar Tage wühlen, Steine schleppen, lesen, etwas zeichnen, Musik hören – das tut gut.

13. April 1984

Ein Freudentag ist’s immerhin: der erste Eisenhut zeigt sein unerhörtes Blau.

Wir sitzen lange vor dem Haus inmitten dem Gesumse unzähliger Insekten und der Blütenpracht einer aus dem Füllhorn schwellenden Natur.

Wir machen eine Wanderung. Unterwegs sammelte ich einen hübschen Feldblumenstrauß, den ich am Abend in Öl malte.

27. April 1984

Heute war ich in Bernau. Ich habe meine Bauernkriegs-Ordner hervorgeholt. Es ist eine phantastische Sammlung, die ich da in den Buchauszügen zusammengetragen habe.

Ich mache eine Stippvisite bei Bürgermeister Schmidt, Bernau, wegen der beiden Räume der Hans-Thoma-Preisträger für eine Ausstellung meiner Bauernkriegsbilder.

Er sieht mich fragend an: „Sicher, die Räume sind noch abgeräumt, das ist das Problem nicht, aber…“

Betretenes Schweigen.

Er sieht mich fragend an.

Ich: „Revolution will ich keine machen. Die Darstellungen sind aus einer langjährigen Forschungsarbeit herausgewachsen. Es werden lediglich Lügen zurechtgerückt. Außerdem ist es eine Angelegenheit unserer Heimat!“

„Bauernkriege bei uns? Noch nie davon gehört. Bulgenbach, wo ist das?

Nun ja, am besten bringen Sie mal ein paar der Pinselzeichnungen vorbei, wir werden dann sehen…“

30. Juli 1984

Vormittags ein Ölbild gemalt. Das Thermometer klettert im Schatten auf 31 Grad.

31. Juli 1984

Am Abend in einem Zug ein großes Bild der Landschaft zwischen Hürrlingen und Buggenried, ganz nach Westen geamlt. Eine ungeheure Wolke lag wie eine Schildkröte über dem Land…

2. August 1984

Zwischenabrechnung in Sachen Bilder-Malen.

In den Ferien ist die Lust unbeschreiblich, sich die Seele auf die Platte zu kotzen.

Doch jedes Mal, wenn mich die Pinsel magisch anziehen, ist’s wie eine Art Hinrichtung. Man leistet alle nur erdenklichen ‚Vorarbeiten’, bis man eben nicht mehr anderst kann.

Und kaum hat man die ersten Töne gesetzt, beginnt die unendliche Lust, das Eintauchen in die Wunderwelt der Fantasie.

Das Banale lässt man weit hinter sich, um sich in der Trunkenheit des Gestaltens zu tummeln.

Sicher, nie entspricht das Ergebnis den Intentionen, doch der Schattenriß gelingt, und das ist doch etwas –

Und so sind es die Formen des Leben, Sterbens, die mich brachial beschäftigen.

Hinterher ist’s leichter…

Also, vier Ölbilder sind schon entstanden, Bilder des Glücks, bis mir der abrupte Tod übel einheizte, dann flossen 6 Acryl- Bilder buchstäblich aus mir heraus.

19. August 1984

… habe ich … die Texte zu den Bauernkriegsbildern beendet. Das war eine enorme Arbeit…

Irgendwie muss ich in nächster Zeit kurz treten.

14. September 1984

‚Schattenrisse der Teufelsküche’ abgeholt, zunächst drei Kisten. Der Druck ist sehr gut.

17. September 1984

Glück?

Heute morgen kam ich nach Bernau. Da wartete eine Dame auf mich, die ein Bild kaufen wollte: Den Weg in die Landschaft hinein, ‚Bäume bei Gegenlicht’, die ich im vorletzten heißen Sommer gemalt hatte, als Raffael im Liegestuhl sich auf’s Examen vorbereitete, während ich in zwei Stunden die Farben (und Formen) aus der Landschaft nahm…

9. Dezember 1984

Das alte Jahr geht still zu Ende. Ich bin allein in der Burg und habe die beiden letzten Tage genossen: Wandern, zeichnen, lesen, Radio hören…

31. Dezember 1984

Am Nachmittag besuche ich mit Frau Rutsch die Teufelsküche in Stühlingen. Es ist das erste Mal, dass ich diesen Ort seit meinen „Schattenrissen“ aufsuche.

Es war, als wollten sich mir die Motive in neuer Schönheit anbieten…

9. Januar 1985

Am Vormittag habe ich gezeichnet: die Etrusker, ein rätselhaftes, ein diskriminiertes Volk.

Welche Kultur. Vor ihrem Hintergrund sind die Gotiker, auch Renaissancekünstler Abschreiber.

Wiedergutmachung – ein merkwürdiges Wort. Aber Heidegger hat recht: ‚Die Wahrheit ist das Unverborgene.’

3. März 1985

Am Abend habe ich das zweite Ölbild dieses Jahres gemalt: Herkules-Blütenstände…

13. April 1985

Bernau, Resenhof. Nichts Zeichnen-Wertes, vielleicht ein paar Vögel…

6. August 1985

Ein Wochenende voller Regeneration. Am Samstagabend 2 Zeichnungen gefertigt. Das Studium von James Joyce wieder aufgenommen. Zwei Stunden im Atelier Cilly Niehüser gearbeitet.

Der Garten steht in üppiger Pracht: noch nie blühte der stolze Heinrich in seinem intensiven Ultramarin so betörend schön. Auch das Paradiesgärtlein nimmt zunehmend an Schönheit zu.

23. Juni 1985

Mit Gisela und Ingmar in der Burg.

Mein Schweißer-Assistent Ingmar hilft brilliant beim Bau der Eisenplastik an der früheren Essstelle.

Zuerst haben wir alle vorhandenen Pflüge, Eggen, Räder, Messer, Sicheln, jedweden Eisenabfall zusammengetragen.

Dann fingen wir mit dem Zusammenbau an. Es war ganz still. Ingmar schweißte, wo ich ihn darum bat. Schon nach eineinhalb Stunden war die Löwenarbeit geleistet.

Ein plötzlicher Platschregen gab mir die Möglichkeit einer Denkpause.

Heute morgen setzten wir die Arbeit wie selbstverständlich fort. Schon um 11 Uhr machte Gisela einige Erinnerungsfotos.

Diese Skulptur war schon seit Jahren Gegenstand geistiger Auseinandersetzung… es soll Erinnerung an jene goldenen Zeiten sein, in welchen man sich im Schweiße des Angesichtes um die Bebauung von Mutter Erde mühte.

Blick zurück in Elegie.

Gisela meinte ‚Uehli’ sei der rechte Name. Ich wäre sogar einverstanden, wenn dieser Name nicht zu sehr an die Schweizer Bauern erinnern würde…

29. / 30. Juli 1985

… so setzt er sich hin, während ich mich im Garten farblich an den Sonnenaugen und den Königskerzen vergreife…

8. Juni 1985

Am Nachmittag fahre ich mit Herrn Müller hinüber nach Erzingen und male in der prallen Sonne den Vogelhof. Ganz klar, dass das Bild nichts werden kann: Totale Erschöpfung, innere Leere…

Derweilen ist daheim ein sehr gutes Bild gediehen: eine Königskerze. Es ist totaler Wahnsinn, ein solches Motiv zu wählen.

Die Pflanze ist so gelb, dass es einem den Pinsel aus der Hand schlägt. So wird es ein verzögerter Kraftakt. Nach drei Anläufen kann sich das Bild sehen lassen.

14. August 1985

Tag der Erfolge. Ich male zwei ordentliche Bilder, Raffael versucht sich an Berau. Gute Arbeit.

29. August 1985

Mittags male ich mit Herrn Müller, Ühlingen, ein Stillleben mit Flaschen. Danach verlieren wir uns bis in die Nacht hinein in Gespräche. Ich habe einen Tonscherben der Hethiter, nach der Fotographie in einem Kunstbuch, nur 4 cm groß, zu einem Bild verdichtet…

19. Oktober 1985

Am Mittag habe ich ein Mäuerchen gebaut, während die Sonne wonniglich wärmte. Dann habe ich gelesen, gezeichnet, gehört und bin nach der Böll-Lektüre friedlich eingeschlafen…

Meine Burg, eine bergende Höhle, eine Festung, in der ich unangreifbar bin. Die Distanz erlaubt mir hier, gestalterisch tätig zu sein.

21. Dezember 1985

Ingmar hat mir ein praktisches Gestell für meine Bilder gebastelt. Ich konnte alle unterbringen; es sind insgesamt über 500 Arbeiten, eine stolze Bilanz, wenn ich bedenke, dass noch etwa 250 Stück verkauft oder verschenkt wurden.

24. Dezember 1985

Aus meinem Bilderwerk, das ich in der Durchschau betrachte, habe ich etwa 50 Stück aussortiert, die meinen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden.

Einst hielt ich sie für aufhebenswert.

So ändert man sich.

25. Dezember 1985

Über die Ferien habe ich während der Wanderungen allerlei trockene Dolden und Kerzen gesammelt, ein Riesenstrauß, der sich in wunderbaren Ocker-Gelb-Braun-Englischrot-Stufen darbietet. Heute habe ich ihn mit Farben gepackt und in drei Stunden auf eine Platte gebannt, dazu die dickbäuchige Chianti-Flasche, die mir Frau Rogg schenkte, mit dem Messingteller, den ich einst trieb und stauchte.

Es wurde ein Fest für die Augen.

11. Januar 1986

Am Nachmittag bin ich zu Heinrich Kaiser, Wacht 3, Bernau-Dorf gefahren und habe eine sensationelle Entdeckung gemacht. Dieser Mann… ist ein Heimatforscher par excellence.

Wohlgeordnet in Kästen hat er sich die Geschichte der Bernauer Vereine zurechtgesammelt; die Ergebnisse lagern in gebundenen Folianten in einem alten Panzerschrank. Einer der Prachtbände kostet 500 DM. Er berappt alles aus eigener Tasche.

Ich soll ihm für die ‚Geschichte der Bernauer Gewerbe’ einige Zeichnungen fertigen…

11. Februar 1986

Pfingstferien in der Burg. Die Natur drängt mit Gewalt an die Oberfläche. Fast werden die immanenten Kräfte sichtbar: ein Quellen, Formen, Knospen, Wachsen wie mit dem Zeitraffer.

Dies ist mein Königreich!

Am schönsten, wenn ich im Schweiße des Angesichtes arbeite. An jeder Ecke gibt’s ein Tun.

Und wie nebenher mache ich einige Stillleben von erhabener Ruhe. Meine Zerrissenheit kommt zum Stehen und irgendwo schlummern in mir noch schöpferische Kräfte. Die drängen mit Gewalt heraus.

Es überfällt mich brachial.

20. Mai 1986

Herr Kessler, Ferdinand und ich stellen den Naturlehrpfad im Schinderwald auf. So an die 50 Tafeln können wir unterbringen.

21. Juni 1986

Erstes Herantasten an die Farbe. Vom gestern entdeckten Biotop nehme ich ein paar Häuser von Buggenried aufs Korn.

Aber es ist nichts zu machen, kein Strich stimmt, kein Farbton klingt. Selten musste ich mich so sehr mühen, und am Schluss bin ich froh, dass ich die Katastrophe schnell zudecken kann.

Es tut bei aller Bitterkeit gut, sich seiner Bedingtheit zu erinnern.

15. Juli 1986

Ich bin so richtig am Träumen und will einen Blumenstrauß malen, bekomme ich Besuch…

Kaum sind sie fort, hole ich das Malzeug.

Noch bevor die Nacht anbricht, ist das Bild fertig.

Über dem Tal steht der Wald, jugendlich und majestätisch. Die Bäume stehen kraftvoll, vital, zum Himmel strebend – Schlagschatten produzieren undurchdringliches Schwarz, darüber ein tintenhafter Himmel, der im Kontrast zum Wald hell erscheint.

Ich sitze und schaue…

23. Juli 1986

Vormittags das Bild fertig gemalt. Die ‚Feinarbeit’, das ist atemberaubend, anstrengend, dennoch lustvoll erlebt. Um 12 Uhr höre ich auf.

Am Nachmittag zeichnen, Zeitung lesen, schauen, Holz spalten. Alles sehr schöne Arbeiten, die an die Wurzel des Wesens gehen (können).

24. Juli 1986

Am Samstag großes Erlebnis in Basel mit Manets Seerosenbildern…

25. Juli 1986

Ich habe die Staffelei im Garten aufgebaut und möchte den alten Birnbaum mit einer prachtvollen Herkulesstaude malen…

31. Juli 1986

Herr Doherr machte für mich ein neues Motiv aus. Er fotografierte neulich mein Wasserauffangbecken, als die Fluten vom Dachkändel stürzten und rhythmische Spritzer bis zur Loggia hochstießen.

Als ich das erstaunliche Foto sah, das den Künstler in Herrn Doherr sichtbar machte, überfiel mich sofort die Lust zum Malen.

Und siehe da, als gestern abend ein längerer Regen einsetzte, hatte ich das gleiche Motiv für etwa eine Stunde vor mir. Das genügte, die wesentlichen Stellen festzulegen. Und heute morgen vollendete ich die Arbeit in stummer friedlicher Lust. Sternstunden der Ferien.

5. August 1986

Ich aber mache mich auf, um die Umgebung zu erkunden, tauche ein in den Gisiboden, entdecke einen Bannfriedhof mit großer Würde.

Da lass ich mich nieder, Motive zu Dutzenden, Kühe reihum. Es ist, als ob mir die gestorbenen Bäume zuflüsterten. Einige liegen da wie gefällte Menschen, Schicksale in Bitternis.

29. September 1986

Ein Tag wie im Paradies. Ich sitze den ganzen Tag im Totenwald bei den abgestorbenen Bäumen, den zerfressenen Baumruinen, vermodernden Baumstümpfen, zerlöcherten Ästen.

Die Sonne brennt wie im Hochsommer. Einige ausgedörrte Schirmpilze stehen stacksig zwischen Grasbüscheln und Kuhfladen, mit denen man heizen könnte.

Die letzten Tannen wehren sich gegen das Sterben, die Auswüchse dieses Jahres sind saftig grün, darüber totes Gerippe.

Dieser Ort hat Charakter.

Seitlich sprudeln zwei Quellen. Gegen Mittag kommen die Kühe gestackst mit glasigen Augen und nehmen einen tiefen Schluck.

Die Zeit rinnt. Bis zum Abend entstehen sieben Zeichnungen…

1. Oktober 1986

Am Tag regnet es ununterbrochen. Das Mettmatal liegt in düsterer Gräue. Abends sind an die 20 Zeichnungen für meine Kunstgeschichte fertig. Am Hörfunk geht es drei Stunden um Ödipus…

23. November 1986

Zwei Bilder gemalt als Liebeserklärung an den Sonntag. Zuerst ein Waldstück vom Naturgarten gegen den Granacher hinauf. Die Sonne narrte mich unaufhörlich, ich galoppierte ständig hinter ihr her, weil das Licht wanderte.

Es wurde drum kein Meisterstück.

Gegen Abend packte es mich nochmals. Die Fingerhüte, eine Pflichtaufgabe für Gisela. Also nahm ich Ölfarben und löste die Probleme malerisch.

So drei Stunden murkste ich an dem kleinen Format herum. Es machte unheimlich Spaß.

12. Juli 1987

Zwei Bilder metaphysischer Art in einem Rausch heruntergemalt. Dazu musste ich extra das Haus feuern, dass es wegen des Trocknens keinen Unterbruch gab.

Kühl war’s nämlich und windig.

Gegen vier Uhr war das Werk nach Unterbrüchen beendet. ‚Der gemarterte Mensch’ und ‚Der Paddler’ sind trotzt der Anlehnung Ausdruck meiner derzeitigen seelischen Situation…

Am Abend, als es ruhig wird, steige ich auf den Berg und fertige noch eine Skizee.

22. Juli 1987

Ich habe mich wieder mal auf die Arbeit an meiner Kunstgeschichte gestürzt. 15. 16 Blätter sind entstanden. Daneben fertigte ich etwa ein Dutzend Pastell-Bildchen, Ausschnitte aus unserer Landschaft.

2. August 1987

Ein ereignisreicher Tag. Vormittags in St. Blasien und ein wenig bei strömendem Regen gebummelt.

Um 10 Uhr plötzlich Lust bekommen, an das Porträt vom „steingrüblerischen“ Alban Spitz zu gehen.

Schnell in die Burg gefahren und über drei Stunden geschuftet. Als Ergebnis lagen dann zwei brauchbare Pinselzeichnungen da…

4. August 1987

In der Burg. Ich habe in einem Aufwasch für Giselas Küche ‚Sommer’ und ‚Winter’ gemalt. Am Mittag habe ich die beiden fertigen Bildchen den Müllers vorgelegt.

7. November 1987

Bei Herrn Müller in Ühlingen. Ich bringe die Totenschädel zum Malen mit – und einen Strauß mit Wiesenblumen: Rotklee, Esparsette, Wiesensalbei, Hufeisenklee…

… ich nehme das Motiv zur Vorlage, um ein Bild zum Thema ‚Leben-Sterben’ zu gestalten.

20. Mai 1988

Arthur und Toni suchen sich ein Bild aus: Angelika silvatica. Die beiden sind glücklich und ich auch…

25. Mai 1988

Bei Müllers in Ühlingen. Ich male seine Karavelle…

27. Mai 1988

Lange nicht richtig gemalt; und dann bricht’s auf mit Macht.

Da stellt Herr Nietsche die unerhörte Anforderung an mich, seine… Nicola (15), von der ich nichts weiß, von der ich lediglich eine Fotokopie in Minigröße – etwas voluminöser als eine Briefmarke – habe, als Portrait für ihre gefundene Mutter zu malen.

Kurz und gut, ich mache mich an das Unmögliche und bekomme eine solche Lust, dass ich in einem Zug ein, zwei Selbstportäts herstelle. Eines von Heidegger nach einem ebenso winzigen Foto…

Eine Phase des Schöpferischen. Innerhalb weniger Tage habe ich in einem wahren Schaffensrausch einige hervorragende Bilder gemaltr, darunter Porträtstudien in monochromer Manier von dem Nietsche-Mädchen.

Nach mehreren Anläufen schuf ich auch die Auftragsarbeit für den Schweizer Preiser aus Full, ein gewaltiges Stück Arbeit: Mädchen mit Auto. Jetzt bin ich formal und inhaltlich zufrieden. Die Farben blühen.

Dazu kamen zwei Farbstudien von Talita mit einem großformatigen, stillen, aber intensiven Blumenbild. Das ist ein Fingerhut voll Glück…

3. Februar 1990

Kultur ist eine Art TERRA INCOGNITA.

Das nicht Beschreibbare, nicht in Worte zu Fassende liegt in unserem Innern verborgen… Man belächelt Leute, die so arbeiten wie ich. Goethe hat’s so formuliert:

Was auch als Wahrheit oder Fabel

In tausend (Bildern) dir erscheint,

Das alles ist ein Turm zu Babel,

Wenn es die Liebe nicht vereint.

Liebe aber bedarf der Anstrengung. Auch ich bin fähig, daheim im stillen Kämmerlein mit den Farben zu fabulieren. Aber wenn mir das Erleben nicht vorausgegangen ist, kommt nur Dekoration heraus.

Februar 1994

… Und ich darf immer noch leben, darf mit meinem Malgepäck Erkundungen unternehmen, komme oft ohne Ergebnis nach Hause, weil mich kein Motiv angeregt hat.

An manchen Tagen aber, wenn die Beleuchtung stimmt, packt es mich mit unwiderstehlicher Lust. Die Ergebnisse sind zwar kümmerlich, aber man sollte in meinen Bemühungen den Wesenskern zu entdecken suchen.

Februar 1994

Wenn ich dann vor dem Motiv sitze, ist es mir, als ob ich barfuß durch stacheliges Gestrüpp gehe; man reißt sich seine Glieder blutig. Man wird dann von Freuden und Schmerzen gleichermaßen geschüttelt, müht sich meist vergeblich, das Erkannte umzusetzen, zu verwandeln…

Man fordert gewissermaßen das eigene Geschick heraus. Will man etwas erreichen, muss man mit dem darzustellenden Gegenstand seinen Frieden schließen.

Die Mysterien der Schatten lassen einem am meisten Möglichkeiten; das, was hell beschienen ist, bereitet Schmerzen.

Schlimm wird’s, wenn irgendein Fremder daherkommt und darum bittet, zuschauen zu dürfen, er sei auch bestimmt ganz ruhig.

Es ist, als zerstöre er die unsichtbaren Fäden, die einem vorher eingehüllt haben… Noch schlimmer wird’s, wenn irgendein Bauer mit seinem Schlepper vorbeituckert und herüberbrüllt: ‚Was haben Sie in meiner Wiese verloren?‘

Aus ist der Traum. Da spürt man eine gewisse Feindschaft, die eigentlich gar nicht so gemeint ist.

Um Poesie ins Bild zu bringen, muss man sich dem Höchsten zu nähern suchen, der Kontaktnahme mit seinem Gegenüber, der Natur.

Der Illustrator ritzt nur die Oberfläche. Der eigentliche Bildner muss eine Art Gegenliebe spüren, die er aufnimmt und in Farben und Formen ausschöpft. So gelangt er an die eigentlichen Quellen. Als sammle man mit seinem Gestammel den milden Schein der Gottheit, welche über die Oberfläche das Wesentliche anritzen lässt…

Wenn dann die Arbeit vollendet vor einem liegt, ist es einem, als sei man durch unwegsames Gebirge an einen heimlichen Ort gelangt, von niemandem betreten, wo man das Sein erhorcht, den Sinn der Dinge versteht. Man schaut sein Werk immer wieder an, erlebt es in seinem Gemüt, genießt die Stimmungen im Lande der Schönheit.

Die Ferne wird Nähe, aus der Dämmerung flutet Licht.

Oder aber ich stelle mit Traurigkeit fest, dass ich wieder einmal in der Ohnmacht gestrandet bin, dass das Erreichte nur ein Schatten dessen ist, was man anstrebte.

Diese Situation fand sich besonders oft in den ersten Jahren des Gestaltens. Zunehmend schöpft man dann aus seinen Erfahrungen, umgeht die Klippen der Versuchungen durch Effekte, hat Sinn für das Eigentümliche, Unbekannte, findet die Spur zum Gemüt der Welt.

Februar 1994

 
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